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01.11.2018 - Peer Leithold (E-Mail schreiben an Peer Leithold)

Ertragspotentialkarten – Weshalb sie leider nicht funktionieren

Ertragspotentialkarten – weshalb sie leider nicht funktionieren

Seit gut 25 Jahren kennt man in der landwirtschaftlichen Praxis Ertragskarten. Die Messung teilfächenspezifischer Erträge sowie der daraus folgenden Erstellung von Ertragskarten für ein Feld, hat sich in dieser Zeit enorm verbessert. Heute kann ihre Qualität daher als recht gut bewertet werden. Es stellt sich nun die Frage, was fängt man mit Ertragskarten an? Zwei Möglichkeiten gibt es:

                              (1) Schwachstellenanalyse des Produktionsergebnisses eines Jahres, gute Idee!

                              (2) Grundlage für die Ableitung von pflanzenbaulichen Entscheidungen für das Folgejahr, besser nicht!

 

Warum nicht?


Aus einer Reihe von Ertragskarten sollen Ertragspotentialkarten errechnet werden. Diese wiederum soll im Precision Farming genutzt werden, um Bewirtschaftungsmaßnahmen und Betriebsmitteleinsatz planen zu können. Auf den ersten Blick erscheint dieser Gedanke sinnvoll. Daher beschäftigten sich viele Landwirte auch mit dem Thema und investierten bspw. in Ertragsmesssysteme in Mähdreschern.

Jedoch ist der Wunsch Vater des Gedanken! Ich kann mich noch gut an die Zeit um die Jahrtausendwende erinnern, als vielen Nutzern erstmals mehrjährige Ertragskarten vorlagen. Das ernüchternde Resümee war: „je mehr Ertragskarten wir sammeln, desto weniger verstehen wir es.“ 

Wie bitte? Soll das etwa bedeuten, dass je konkreter die Daten sind, desto deutlicher wird erkennbar, dass Ertragspotentialkarten nicht funktionieren?

Wir müssen genauer hinschauen!


Prof. Simon Blackmore (Harper Adams University) untersuchte bereits im Jahr 2002 anhand der Struktur 6-jähriger Ertragskarten aus Dänemark die Möglichkeit, zukünftige Erträge vorauszusagen. Es ging also um die Erstellung von Ertragspotentialkarten, um zukünftige Bewirtschaftungsmaßnahmen ableiten zu können. Prof. Blackmore kam zu fünf Kernaussagen:

  1. Die Ertragsunterschiede der Einzeljahre können den größten Einfluss auf den Ertrag haben.
  2. Die räumliche Variabilität (Ertragsmuster) des Einzeljahres ist stark ausgeprägt.
  3. Die Ertragsmuster mehrerer Jahre heben sich gegenseitig wieder auf.
  4. Karten des Ertragstrends können nicht den Ertrag des Folgejahres vorhersagen.
  5. Anstelle des Ertrages muss daher der aktuelle Bedarf gemanagt werden.

Ertragshöhe, Ertragsmuster und Vorhersagbarkeit eines zukünftigen Ertrages

Aufgrund der exakten wissenschaftlichen Beweisführung von Prof. Blackmore haben wir die Analyse mit Ertragskarten aus Deutschland wiederholt. Untersucht wurden 5- bis 8-jährige Ertragskarten von insgesamt sieben Feldern aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Die genaue Frage war, ob man anhand historischer Ertragsdaten zukünftige Erträge sicher genug prognostizieren kann? Unsere Ergebnisse waren verblüffend eindeutig!
Man muss bei der Datenanalyse jedoch zunächst zwischen zwei Effekten unterscheiden:

(A) Effekt Nr. 1:

➔ Jahreseffekt der Ertragsbildung oder wo liegt der mittlere Ertrag des Feldes?
Für jedes Feld kann man einen durchschnittlichen Ertrag über einen Zeitraum ausrechnen. In unserem Beispielsdatensatz lagen diese durchschnittlichen Erträge, je nach Feld und Anzahl der betrachteten Jahre, zwischen zwischen 54 und 89 dt/ha.

➔ Die spannende Frage ist aber nun, wie weit können die Einzeljahre vom langjährigen Durchschnittsertrag des Feldes abweichen? In unserer Stichprobe weicht das Einzeljahr im Durchschnitt über alle Felder um rund 17 dt/ha (7 bis 28 dt(ha) nach oben und unten ab. Das bedeutet, allein der Jahreseffekt (gute und schlechte Jahre) führt zu einer Ertragsvariabilität der Durchschnittserträge von Feldern in einer Größenordnung von rund 34 dt/ha. Wer traut sich zu, im Oktober oder März das Ertragsmittel eines Feldes in einer Güte von ca. 5 dt/ha vorherzusagen? Derjenige wäre ein gemachter Mann bei der Hagelversicherung oder bei den Brokern!

Effekt Nr. 2: Ertragsmuster des Einzeljahres oder gibt es räumlich ausgeprägt Ertragsunterschiede innerhalb des Schlages und sind diese immer gleich?
Die Ertragsunterschiede innerhalb eines Feldes und eines Jahres prägen sich mehr oder weniger deutlich aus. Der Grad der Ausprägung dieser Unterschiedlichkeit kann man mathematisch mit der Berechnung der Standardabweichung gut beschreiben. Die Standardabweichung ist ein Maß für die Streubreite der Werte eines Merkmals rund um dessen Mittelwert (arithmetisches Mittel). In unserem Fall heißt das, die Standardabweichung des Ertrages ist die durchschnittliche Entfernung der aller gemessenen Einzelerträge vom Durchschnittsertrag des Feldes. Bei unseren untersuchten Feldern lag die durchschnittliche Standardabweichung bei rund 12 dt/ha (5 bis 28 dt/ha). Vereinfacht gesagt heißt das, dass sich auf einem bestimmten Feld jeder einzelne Ertrag einer Teilfläche im Mittel (!) um 12 dt/ha nach oben und unten vom Mittelwert des Feldes entfernt liegt. Also wenn der mittlere Ertrag eines Feldes bei 80 dt/ha liegen würde, dann würde statistisch gesehen jeder gemessener Ertragspunkt in einem Korridor von 69 bis 92 dt/ha liegen. Viele Punkte davon liegen natürlich näher, andere Ertragspunkte aber noch weiter entfernt vom Mittelwert. Um es auf den Punkt zu bringen, „ … der Dorfteich war im Schnitt nur 80 cm tief, trotzdem ist die Kuh ersoffen.“

Schaut man sich die Ertragsmuster der Trendkarte an (mittlere Ertragskarte über die Zeit) so heben sich diese tendenziell wieder auf. Je mehr man mittelt, desto weniger signifikant bilden sich die Ertragsmuster der mehrjährigen Ertragskarte im Vergleich zur einjährigen Ertragskarte aus. Ertragskarten von trockenen und nassen Jahren heben sich zum Teil sogar komplett wieder auf. Es stellt sich jetzt die Frage, wie genau können diese Ertragsmuster, also Abweichungen vom mittleren Ertrag, vorhergesagt werden? Wenn man unterstellt, dass man für Planungen einen Unsicherheitskorridor von rund 10 dt/ha akzeptiert ergibt sich folgendes Ergebnis. Nur 3 bis maximal 20% der Flächen können als stabil hohe oder stabil niedrige Ertragsmuster prognostiziert werden. Das heißt umgekehrt, für 80 bis 97% der Fläche kann keine Abweichung der Einzelfläche vom Ertragsmittel des Feldes sicher genug vorhergesagt werden.

 

Es bleibt eine entscheidende Frage offen

Können wir aus mehrjährigen Ertragskarten die zukünftigen Erträge des Einzeljahres vorhersagen? Wir haben das anhand dieses Beispielsdatensatzes versucht. Als Maßstab haben wir die Vorhersagegüte (R²) verwendet. Diese liegt im Schnitt bei 0,15. Das bedeutet, dass nur 15% des Ertrages eines Einzeljahres sich aus den historischen Daten erklären lassen. Die besten Werte lagen bei 41%, die schlechtesten bei 0%. Mit anderen Worten: aus den historischen Daten kann man nicht auf den Ertrag des kommenden Jahres schlussfolgern.

Nun kann man dagegen halten, dass historische Ertragsdaten allein nicht zu einer Ertragspotentialkarte führen. Man sollte u.a. auch noch Bodenproben und Wetterdaten einbeziehen. Dieses Argument höre ich nun ebenfalls seit gut 25 Jahren. Aber genau in dieser Zeit habe ich noch niemand gefunden, der zeigen konnte, dass das irgendwo funktioniert. Wenn man nämlich weiß, dass z.B. die Bodenart positiv als auch negativ mit dem Ertrag korreliert oder, dass niemand ein trockenes oder ein nasses, oder ein kaltes oder warmes Jahr vorhersagen kann, dann fällt dieser Ansatz für die Praxis aus.

Was man aber in der einschlägigen Literatur findet, sind wissenschaftliche Untersuchungen, die mehr oder weniger zu den gleichen Aussagen, nämlich der Nicht-Verhersagbarkeit zukünftiger Erträge, kommen.

Schlussfolgerungen

  1. Aus der Betrachtung mehrjähriger Ertragskarten kann der zukünftige Ertrag nicht sicher genug für die Ableitung operativer pflanzenbaulicher Maßnahmen vorher gesagt werden. Der agronomische Ansatz, den Betriebsmittelaufwand anhand von Ertragspotentialkarten zu planen kann nicht (bzw. nur bedingt) unterstützt werden.
  2. Man sollte sich darauf konzentrieren, die aktuelle Variabilität innerhalb eines Jahres zu managen. Es ist wichtig während der Wachstumsprozesse limitierende Faktoren zu erkennen, die den möglichen Ertrag eines Jahres (Wasserversorgung, Temperatur, Globalstrahlung) begrenzen und deren Auswirkungen (aktueller N-Bedarf, Infektionsdruck, Auftreten von Unkräutern etc.) auf den Betriebsmitteleinsatz bestimmen.
  3. Anstelle des Ertragszieles muss der aktuelle Bedarf gemanagt werden.
  4. Diese Analyse stellt nicht die generelle Nutzung von Ertragskartiersystemen in Frage. Diese sind nach wie vor ein hervorragendes Werkzeug u.a. für die jährliche Schwachstellenanalyse. Allerdings können die damit erzeugten Daten nicht die Funktion erfüllen, die man ihnen zugedacht hatte.

Mich verwundert es jedes Mal aufs Neue, dass das Thema Ertragspotentialkarte immer wieder seinen Weg in Agrarmagazine und auf landwirtschaftliche Fachtagungen findet. Meines Erachtens haben ihre Befürworter noch nie die Probe aufs Exempel für ihre Behauptungen liefern müssen. Es ist und bleibt bloße Theorie - ohne Machbarkeit und Treffsicherheit. Dass diese dennoch Gehör in der Praxis findet ist erstaunlich und ernüchternd. Auch verstehe ich nicht, weshalb Ertragspotentialkarten regelmäßig im Zusammenhang mit Pflanzensensoren (nicht der YARA N-Sensor®!) genannt werden. Denn ich beobachte mit Sorge, dass einzelne Wissenschaftler, Berater und auch Verkäufer dieser Sensoren die Aufgabe des Erstellens von angeblichen Ertragspotentialkarten stets beim Landwirt abladen. Und wenn die Rechnung dann nicht aufgeht, war natürlich nicht der Pflanzensensor schuld, sondern der Landwirt. Dieser hat einfach keine richtige Ertragspotentialkarte erzeugt! So "einfach" kann man es sich machen und weiterhin einen Wunschtraum wahren.

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1 Kommentar(e) für "Ertragspotentialkarten – Weshalb sie leider nicht funktionieren"

Tim Dietrich schrieb am 19.11.2018, 20:56 - Auch sensorbasierte „Bedarfskarten“ haben Schwachstellen Ein interessanter Artikel zu dieser Thematik. Der wichtigste Einflussfaktor ist und bleibt bei allen kartenbasierten Lösungen nach wie vor die fachgerechte, pflanzenbauliche Beurteilung der Bestände unter Berücksichtigung der verschiedenen, ertragsbildenden Einflussgrößen. Auch sensorbasierte „Bedarfskarten“ haben einige Schwachstellen, die man fairer Weise auch dagegen halten sollte. Aus meiner Sicht ist eine manuelle, Gis-basierte Maßnahmenplanung unter Verwendung der jeweils passenden Datenquelle momentan die sinnvollste Lösung, leider erfordert die erweiterte Gis-Kenntnisse und ist deutlich aufwendiger als algorythmische Lösungen.

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